Licht und Wärmeeinstrahlung durch Fenster und Glasfassaden per Knopfdruck regeln, Energie sparen und trotzdem den Durchblick behalten? Schaltbare elektrochrome Folien, die sich zwar dunkel einfärben, dabei aber transparent bleiben, sollen das in Zukunft ermöglichen. Dass sich das auch in schon bestehenden Gebäuden nachrüsten lässt, soll das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK geförderte Verbundprojekt „EnOB: FLEX-G 4.0 - Technologien für innovative schaltbare Folien als Nachrüstlösung für energiesparende Fenster und Glasfassaden“ (Förderkennzeichen: 03EN1048) zeigen. Koordiniert vom Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP wird gemeinsam mit sechs weiteren Partnern innerhalb der nächsten vier Jahre der Stand der Technik bis auf Prototypenstadium gebracht. Dabei will das Projekt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – zum einen sollen die Fenster einer Dresdner Schule nachgerüstet werden, zum anderen die Schüler aktiv in die Technologieentwicklung einbezogen werden als Beitrag zur Förderung der Berufsorientierung.
Lichtdurchlässigkeit je nach Bedarf einstellen: elektrochrome Folie im dunklen (links) und hellen Zustand (rechts). © Fraunhofer ISC |
In den Sommermonaten verbrauchen Klimaanlagen enorme Mengen an Strom, um die durch die Glasfassaden und Fenster von der Sonne aufgewärmten Zimmer zu kühlen. Im Winter wiederum soll die Wärme idealerweise ins Zimmer gelangen und dort verbleiben. Wie schön wäre es also, schaltbare Folien auf Fenster und Glasfassaden aufzubringen, die je nach Bedarf Wärme in das Gebäude lassen oder abblocken?
Im neuen Projekt FLEX-G 4.0 soll eine kostengünstige Nachrüstlösung mit innovativen schaltbaren Folien entwickelt werden, die möglichst einfach auf bestehende Glasflächen aufgebracht werden kann. Im Vorgängerprojekt FLEX-G wurden bereits entscheidende technologische Grundlagen dafür geschaffen – elektrochrome Folien im Labormaßstab, die nun im Hinblick auf eine industrielle Fertigung weiterentwickelt werden sollen.
„Die schaltbaren Folien können signifikant zur Senkung des Gesamtenergiedurchlassgrades der Fenster, dem so genannten g-Wert, und damit des Energiebedarfs des Gebäudes beitragen,“ erklärt Dr. Cindy Steiner, Projektkoordinatorin am Fraunhofer FEP. „Uns ist es bei diesem Projekt ein großes Anliegen, die Ergebnisse des Projektes in realer Umgebung zu demonstrieren und hierfür junge Menschen mit einbeziehen zu können – Schüler einer Dresdner Schule, die auch im Unterricht von der Arbeit profitieren sollen!“
Neubau des Labor- und Technikumsgebäudes des Fraunhofer FEP an dessen Südbrücke (rechts) die Nachrüstlösungen des Projektes integriert werden. © Fraunhofer FEP, Fotograf: Finn Hoyer |
Das Hauptziel des Projektes ist die Erforschung geeigneter Systemdesigns und Fertigungstechnologien für großflächige elektrochrome Folien zur Verarbeitung direkt auf der Baustelle. Außerdem sollen robuste Verfahren für eine „einfache“ Applikation dieser Folien auf Fenster und Fassaden vor Ort in Bestandsgebäuden entwickelt werden.
Für die Demonstration und das Monitoring ist geplant, die Nachrüstfolien an einem Bestandsgebäude, der 46. Oberschule Dresden, sowie im Neubau eines Labor- und Technikumsgebäudes des Fraunhofer FEP zu integrieren. Zusätzlich werden die Fraunhofer-Institute FEP und ISC Unterrichtsmaterialien für naturwissenschaftliche Fächer bereitstellen und Orientierungspraktika für Schüler anbieten. Ebenso ist die Einbeziehung in die Messungen und Auswertungen der Ergebnisse gemeinsam mit den Schülern geplant. Damit soll das Interesse der nächsten Generation für verschiedene technische und wissenschaftliche Berufsfelder und auch für energiesparende, nachhaltige Technologien und deren Entwicklung geweckt werden.
Skalierung und Optimierung elektrochromer Folien vom Labor- auf Industriemaßstab
Zur Optimierung und Weiterentwicklung elektrochromer Folien und insbesondere der Schaffung einer Nachrüstlösung widmen sich die Projektpartner tesa SE, Fraunhofer ISC und Coatema den dazu notwendigen Laminationsverfahren und der Materialoptimierung der elektrochromen Zelle. Konkret werden Materialien und Rolle-zu-Rolle (R2R)-Applikationsverfahren für einen Polymerelektrolyten erforscht. Er verbindet die zwei Teilfolien der elektrochromen Zelle nach Art eines Haftklebers miteinander, ist ionenleitend und isoliert gleichzeitig elektrisch, was entscheidend für den Schaltvorgang ist. Für das Aufbringen der elektrochromen Folien auf Fensterglas wird außerdem ein Laminierklebstoff mit langer Lebensdauer entwickelt. Ein robuster baustellentauglicher Applikationsprozess soll das Projekt komplettieren.
Fraunhofer FEP und ISC steuern ihr umfassendes Know-how und ihre Anlagentechnik für R2R-Verfahren zur Aufbringung der elektrochromen Schichten und der Schutzschichten auf die Folien bei. Die R2R-Verfahren beruhen sowohl auf Vakuumdünnschichtverfahren als auch auf Beschichtungen unter Atmosphärendruck. Integraler Bestandteil des Projektes sind ebenfalls Entwicklungen zur Charakterisierung der elektrochromen Folien und zur Qualitäts- und Prozesskontrolle der Fertigungstechnologien. Um spezifische anlagentechnische Fragestellungen zur Überführung der Prozesse in die industrielle Fertigung kümmert sich der Projektpartner Coatema.
Um die Folien am Ende ansteuern zu können, werden Lösungen für die netzunabhängige Energieversorgung z. B. über Solarzellen erarbeitet. Dazu beschäftigt sich der Projektpartner Enerthing mit IoT-Systemen (IoT= Internet of Things), der Auslegung der Energieversorgung, den Sensortechnologien für die kabellose und automatisierte Steuerung des Schaltzustands der Folien und der Einbindung der Sensorik in die bestehende Gebäudeleittechnik. Mit diesem System wird eine Optimierung der Energieeinsparung angestrebt.
Umsetzung der Ergebnisse vor Ort an einer Dresdner Schule und am Fraunhofer FEP
46. Oberschule Dresden als Bestandsgebäude, an der die Nachrüstsätze der schaltbaren Folien im Einsatz getestet werden sollen. © Robert Gommlich |
Die fertigen Nachrüstfolien werden zunächst an den beiden Gebäuden in Dresden angebracht, um das tatsächliche Energieeinsparpotenzial zu ermitteln. Hierzu finden enge Abstimmungen zwischen den Entwicklern des Konsortiums, der Landeshauptstadt Dresden und der Schule statt, um die Integration der elektrochromen Folie, sowie die Vereinigung dieser mit den IoT-Systemen später umzusetzen.
Was theoretisch an Energieeinsparung möglich ist, das berechnet vorab die Hochschule für Technik Stuttgart mittels Gebäudemodellierungen. Diese werden mit den Eigenschaften der hergestellten Nachrüstfolien an den Schulfenstern und den Ergebnissen von Labormessungen abgeglichen um Verbesserungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Ergänzt werden die Untersuchungen durch Betrachtungen des gesamten Produktlebenszyklus und der Kosten über die gesamte Lebensdauer.
Über 12 Monate hinweg wird das Einsparpotenzial bezüglich des Kühl- und Heizenergiebedarfs in den beiden Demonstrationsgebäude bestimmt. Hier sollen auch die Schüler in die Forschungsarbeit des FLEX-G 4.0 Projekts einbezogen werden. Mit Lernmaterialien für den Unterricht sowie dem Angebot für Orientierungspraktika unterstützen die Projektpartner zusätzlich das Bestreben, Umweltbewusstsein und Interesse für neue Technologien von Schülern aller Bildungswege von Hauptschule bis Hochschulreife zu stärken.
Partner des Projektes:
- Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP
- Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC
- Hochschule für Technik Stuttgart
- tesa SE
- Coatema Coating Machinery GmbH
- Enerthing GmbH
- Landeshauptstadt Dresden